Hintergrund und Fakten

Im Jahr 2009 begann die konfessionsfreie Tochter des ebenfalls konfessionsfreien Beschwerdeführers den öffentlichen Kindergarten ihrer Gemeinde zu besuchen. Im Aufenthaltsraum dieses Kindergartens ist, entsprechend der Bestimmung des §12 Abs 2 NÖ Kindergartengesetz 2006 ein Kruzifix angebracht. Die Gesetzesstelle lautet wörtlich:

„In allen Gruppenräumen jener Kindergärten, an denen die Mehrzahl der Kindergartenkinder einem christlichen Religionsbekenntnis angehört, ist ein Kreuz anzubringen.“

Im Rahmen des ersten Elternabends wurde ferner vom Kindergartenpersonal mitgeteilt, dass im Laufe des Kindergartenjahres spezielles Augenmerk auf die Veranstaltung von religiösen (katholischen) Feiern sowie auf die Vermittlung von religiösen Inhalten gelegt sein wird. Dies ist, zumindest teilweise, durch §3 Abs 1 NÖ Kindergartengesetz 2006 gedeckt. Dieser lautet:

„Der Kindergarten hat durch das Kindergartenpersonal die Aufgabe, die Familienerziehung der Kinder zu unterstützen und zu ergänzen. Insbesondere ist die körperliche, seelische und geistige Entwicklung der Kinder durch Bildungsangebote, geeignete Spiele und durch die erzieherische Wirkung, welche die Gemeinschaft bietet, zu fördern, zu unterstützen, ein grundlegender Beitrag zu einer religiösen und ethischen Bildung zu leisten und die Erreichung der Schulfähigkeit zu unterstützen.“

Auf die Frage, ob im Laufe des Kindergartenjahres beabsichtigt wird, neben dem Christentum auch auf andere Religionen bzw. auf Religionskritik einzugehen wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass dies keineswegs geplant wäre; es handle sich nämlich um eine „christliche Gegend“. Der Ankündigung folgten auch Taten: im Rahmen der Kindergartenaktivität und davon untrennbar fanden diverse christliche Feiern – einige gar in den Räumlichkeiten der sich nebenan befindlichen Dorfkirche und in Anwesenheit des Pfarrers – statt.

Da der Beschwerdeführer sich in seinem Recht auf die grundlegende Bestimmung der religiösen (oder auch religionsfreien) Erziehung seiner Tochter beeinträchtigt sah, diese gravierende Diskriminierung jedoch im Gesetz verankert ist, entschloss er sich, sich an den Verfassungsgerichtshof zu wenden, um die Vereinbarkeit der religiös konnotierten Bestimmungen des NÖ Kindergartengesetzes auf ihre Vereinbarkeit mit der österreichischen Verfassung prüfen zu lassen.

Verfahrenschronologie

14.12.2009      Ein Individualantrag gem. Art. 140 BV-G zur Streichung des Wortlautes „religiöse und“ aus §3 Abs1 sowie zur gänzlichen Streichung des §12 Abs 2 NÖ Kindergartengesetz 2006 wegen Unvereinbarkeit mit der österreichischen Verfassung wird dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt. Der Antrag bekommt anschließend die GZ 287/09.

07.01.2010      Der Verfassungsgerichtshof fordert die Landesregierungen aller Bundesländer sowie das Bundeskanzleramt auf, ihre Stellungnahmen zur Beschwerde binnen acht Wochen dem Gerichtshof vorzulegen.

25.03.2010      Der Verfassungsgerichtshof übermittelt dem Beschwerdeführer die Stellungnahmen der Bundesländer Niederösterreich, Burgenland, Kärnten, Oberösterreich , Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes. Die Landesregierungen Wiens und der Steiermark gaben keine Stellungnahme ab.

17.06.2010      Der Beschwerdeführer übergibt dem Verfassungsgerichtshof eine umfangreiche Gegenschrift, in der die wesentlichen Punkte, die den Stellungnahmen zu entnehmen waren, ausführlich behandelt werden. Der ursprüngliche Antrag wird inhaltlich bekräftigt und der Gerichtshof aufgefordert, die zwei Stellen im NÖ-Kindergartengesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

26.11.2010      In seiner Presseaussendung zur Dezember-Session 2010 teilte der Verfassungsgerichtshof mit, dass die Beratungen über die Beschwerde gegen Kreuz und religiöse Bildung im öffentlichen Kindergarten am 29.11.2010 beginnen werden. Es kann mit einem Urteil noch im Jahr 2010, spätestens jedoch im Februar 2011, gerechnet werden.

18.2.2011     Nachdem es entgegen der früheren Ankündigung des VfGH zu keiner Entscheidung gekommen ist, hat dieser neuerlich mitgeteilt, die Beschwerde im Rahmen seiner nächsten Session behandeln zu wollen. Folglich wird mit einem Urteil frühestens gegen Ende März 2011 zu rechnen sein.

16.3.2011     Der Verfassungsgerichtshof urteilt, dass die Anbringungspflicht von Kreuzen in öffentlichen Kindergärten verfassungskonform ist und weist die Beschwerde gegen die (ebenfalls gesetzlich zwingende) Erteilung einer religiösen „Bildung“ in Kindergärten zurück. Damit wurde der Instanzenweg in Österreich vorerst erschöpft.

14.9.2011     Eine Beschwerde gegen die gesetzlich angeordnete religiöse Erziehung sowie Kreuzanbringungspflicht in öffentlichen Kindergärten wird beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht. 

 

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